Bankinterne Ratingverfahren als zentrales Steuerungsinstrument
Das bankinterne Rating ist weit mehr als ein bloßes Scoring-Modell: Es ist das zentrale Element der Kreditvergabe, das über Zinssätze, Kreditverfügbarkeit, Sicherheitenanforderungen und letztlich die Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmen und Bank entscheidet. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bedeutet das: Wer die Funktionsweise dieser Ratingsysteme nicht versteht, setzt sich unnötigen Nachteilen aus – nicht selten ohne es zu bemerken.
Moderne Ratingsysteme sind das Resultat regulatorischer Anforderungen, wie sie insbesondere durch Basel III und bald auch durch Basel IV definiert werden. Die Idee dahinter: Banken sollen Risiken quantifizierbar machen, um ihr Eigenkapital risikogerecht zu allokieren. Das bedeutet: Je schlechter ein Kunde im Rating abschneidet, desto mehr Eigenkapital muss die Bank für dessen Kredit hinterlegen. Diese einfache Regel hat enorme Auswirkungen auf das Verhalten von Banken gegenüber Unternehmern.
In Deutschland setzen die meisten Banken auf sogenannte IRB-Modelle (Internal Ratings-Based Approach), also bankeigene Systeme, die auf Basis historischer Daten und interner Risikoanalysen Prognosen über die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Unternehmens treffen. Diese Modelle bestehen zumeist aus quantitativen und qualitativen Modulen. Die quantitative Komponente analysiert insbesondere die Jahresabschlüsse, also Eigenkapitalquote, Cashflow, Kapitaldienstfähigkeit, Rentabilität und weitere Kennzahlen. Die qualitative Komponente berücksichtigt Managementkompetenz, Branchenrisiken, Wettbewerbssituation, Marktstrategie, Kontoführung, Verhalten in der Vergangenheit und mehr.
Auswirkungen auf KMU – mehr als nur Zinsen
Für KMU ist das Rating in doppelter Hinsicht relevant. Zum einen fließt es direkt in die Konditionsgestaltung ein. Unternehmen mit einem guten Rating erhalten günstigere Zinssätze, weil sie für die Bank weniger Risikokapital binden. Zum anderen hat das Rating eine indirekte Wirkung: Es beeinflusst die Bereitschaft der Bank, Kredite überhaupt zu vergeben, und bestimmt maßgeblich, ob Förderprogramme wie KfW-Darlehen durchgeleitet werden können.
Dabei sind es nicht nur die harten Zahlen, die zählen. Viele Unternehmer unterschätzen die Bedeutung weicher Faktoren. So kann beispielsweise ein Wechsel in der Geschäftsführung, eine plötzliche Veränderung der Kundenstruktur oder eine auffällig inkonsistente Geschäftspolitik zu einem Abwertungsimpuls im Rating führen – selbst dann, wenn die Bilanzzahlen solide sind.
Vereinfachte Ratingverfahren: Fluch oder Segen?
Gerade im Segment unter 1 Mio. Euro Kreditvolumen setzen viele Banken auf vereinfachte Ratingverfahren. Diese sind standardisiert, IT-gestützt und erfordern nur begrenzten manuellen Aufwand. Das reduziert zwar die Bearbeitungszeit, erhöht aber auch die Anfälligkeit für systematische Verzerrungen. Typische Schwächen liegen in der Standardisierung atypischer Geschäftsmodelle, etwa im Bereich saisonaler Dienstleister oder projektbasierter Agenturen. Dort stoßen automatisierte Liquiditätskennziffern oft an ihre Grenzen, weil sie ohne Kontext interpretiert werden.
Diese Verfahren führen nicht selten dazu, dass Unternehmen mit funktionierenden Geschäftsmodellen aufgrund von Systemgrenzen als risikoreicher eingestuft werden, als sie tatsächlich sind. Der Spielraum für Argumentation ist hier gering, wenn keine ergänzenden Erläuterungen oder Businesspläne mit detaillierten Herleitungen vorgelegt werden. Hier zeigt sich, wie entscheidend eine gute Finanzkommunikation ist, insbesondere wenn es um kurzfristige Schwächen oder strategische Umbrüche geht.
Das Eigenkapital der Bank als limitierender Faktor
Die Eigenkapitalanforderungen an Banken sind nicht statisch. Je nach Ratingklasse eines Unternehmens wird ein sogenannter „Risikogewichtungsfaktor“ festgelegt, der dann die notwendige Eigenkapitalunterlegung bestimmt. Für einen Unternehmerkredit mit guter Bonität kann dies ein Faktor von 50 % sein, für ein risikobehaftetes Vorhaben aber auch 150 %. Ein Darlehen über 200.000 Euro kann so – je nach Rating – eine Eigenkapitalbindung von 100.000 Euro oder nur 25.000 Euro bedeuten.
Diese Zahlen sind keine Nebensache, sondern strategisch relevant. Banken steuern über diese Mechanik ihr Geschäft und wägen ab, ob sie mit der Vergabe eines Kredits Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielen. In einem Niedrigzinsumfeld oder bei steigenden Refinanzierungskosten wird diese Frage zur Überlebensfrage der Bank. Das erklärt, warum selbst kleine Abweichungen in der Ratingeinschätzung große Konsequenzen haben.
Die Rolle des KfW-Darlehens im Bewertungssystem
KfW-Darlehen werden von der Hausbank durchgeleitet, was bedeutet: Die erste Entscheidung liegt immer bei der Bank. Erst wenn sie das Vorhaben plausibel und kreditwürdig einstuft, wird der Antrag an die KfW weitergeleitet. Die KfW selbst prüft dann nochmals die grundsätzliche Förderfähigkeit, verzichtet aber auf eine eigene Bonitätsprüfung, wenn die Hausbank alle Anforderungen erfüllt hat.
Für Banken bietet das Modell Vorteile: Bei vielen Programmen (wie dem Unternehmerkredit) sind Haftungsfreistellungen von bis zu 80 % möglich. Das reduziert das Risiko für die Bank drastisch. Trotzdem bleibt ein Restrisiko und vor allem ein hoher administrativer Aufwand, der im Verhältnis zur Marge kaum zu rechtfertigen ist – insbesondere bei kleinen Krediten. Das führt dazu, dass manche Banken lieber ein eigenes Hausbankdarlehen vergeben – mit vollem Risiko, aber auch mit vollständiger Kontrolle und höherer Marge.
Hier zeigt sich ein zentraler Zielkonflikt: Das KfW-Darlehen entlastet die Bilanz der Bank nur dann, wenn es strukturell ins Risikomanagement passt. Das ist bei schnell wachsenden Unternehmen mit atypischen Geschäftsmodellen oder hoher Dynamik nicht immer der Fall.
Praktische Handlungsempfehlungen für Unternehmer
Unternehmer sollten das Ratingverfahren nicht als Black Box betrachten, sondern als strukturelles Spielfeld mit klaren Regeln. Wer die eigenen Zahlen kennt, wer das Geschäftsmodell strategisch einordnen kann und wer in der Lage ist, auch qualitative Aspekte wie Management, Marktdynamik oder Unternehmensstrategie strukturiert darzulegen, hat deutlich bessere Karten – unabhängig von der Branche oder Unternehmensgröße.
Ein hochwertiger Businessplan ist dabei nicht nur Mittel zum Zweck, sondern aktives Instrument zur Risikominderung – sowohl aus Sicht der Bank als auch des Unternehmens. Gleichzeitig gewinnen strukturierte Ertrags- und Liquiditätsplanungen an Bedeutung. Banken denken zunehmend in Szenarien und Stress-Tests – Unternehmer sollten das ebenfalls tun.
Darüber hinaus ist eine offene und regelmäßige Finanzkommunikation entscheidend. Es reicht nicht aus, einmal im Jahr den Jahresabschluss zu übermitteln. Wer proaktiv über Entwicklungen, strategische Entscheidungen und Risiken berichtet, schafft Vertrauen – und verbessert damit implizit sein Rating.
Die Zukunft der Bankratings: Zwischen Mensch und Maschine
Mit der zunehmenden Digitalisierung wird auch das Ratingverfahren immer stärker automatisiert. Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Big-Data-Analysen halten Einzug in die Bankenlandschaft. Das Ziel: Prognosemodelle noch präziser zu machen. Doch gerade bei KMU wird es noch lange eine Koexistenz aus Mensch und System geben müssen.
Denn was Maschinen an Geschwindigkeit und Objektivität gewinnen, verlieren sie oft an Kontextverständnis und wirtschaftlichem Fingerspitzengefühl. Ein erfahrener Firmenkundenberater kann Schwächen einordnen, Potenziale erkennen und strategische Risiken bewerten. Das kann kein Algorithmus ersetzen – zumindest nicht im heutigen Stand der Technik.
Gerade deshalb gilt: Wer sich als Unternehmer vorbereitet, wer die Sprache der Banken spricht und wer weiß, wie Risiken bewertet werden, positioniert sich im Rating besser – und damit auch in allen Fragen der Finanzierung.
Banken sind keine Gegner, sondern wirtschaftlich agierende Partner mit klaren Steuerungsmechanismen. Wer die Regeln des Ratingsystems versteht und sein Unternehmen daraufhin ausrichtet, betreibt aktives Risikomanagement in eigener Sache. Im Umfeld wachsender Anforderungen und zunehmender Komplexität wird das zur unternehmerischen Kernkompetenz – insbesondere im Mittelstand.