Einleitung: Die unterschätzte Disziplin Gastronomie
Die Gastronomiebranche ist so vielfältig wie ihre Speisekarten. Doch hinter kulinarischer Leidenschaft steckt ein hochkomplexes betriebswirtschaftliches System. Während viele aus Überzeugung, Leidenschaft oder mangels Alternativen in die Selbstständigkeit starten, wird der kaufmännische Aspekt oft zu spät oder gar nicht ausreichend beachtet. Gerade im Bereich der Unternehmensfinanzierung zeigt sich: Wer seine Hausaufgaben nicht macht, zahlt spätestens im Bankgespräch den Preis.
Dieser Beitrag soll ein praxisnahes „Kochbuch“ für Gastronom:innen sein, die Finanzierung nicht als Bittgang, sondern als unternehmerische Disziplin verstehen. Ziel ist es, strukturiert aufzuzeigen, wie Gastronomieprojekte richtig vorbereitet, bewertet und präsentiert werden, um Kapitalgeber zu überzeugen und langfristig tragfähige Betriebe aufzubauen.
Die Realität in der Gastronomie: Einstieg leicht, Finanzierung schwer
Ein Gastrobetrieb lässt sich in Deutschland vergleichsweise einfach übernehmen oder gründen. Es gibt viele leerstehende Objekte, verhältnismäßig niedrige Eintrittsbarrieren, der Kapitalbedarf ist auf den ersten Blick überschaubar. Doch genau hier liegt das Problem: Die Branche zieht nicht nur leidenschaftliche Gastgeber an, sondern auch solche, die sich nie ernsthaft mit Betriebswirtschaft beschäftigt haben.
Dazu kommt der harte Wettbewerb: Bäckereien, Supermärkte, Metzgereien und sogar Tankstellen bieten heute fertige Snacks, Salate, warme Speisen. Die Kundschaft ist preissensibel, kritisch und erwartet gleichzeitig ein Erlebnis. Wer Gastronomie auf einem erfolgreichen Niveau betreiben will, braucht mehr als gute Rezepte – er braucht ein belastbares Konzept, eine starke betriebswirtschaftliche Grundlage und eine solide Finanzierung.
Finanzierungsbarrieren: Warum sich viele scheuen – und es trotzdem versuchen
Das Bild der „nicht finanzierbaren Gastronomie“ hält sich hartnäckig. Banken gelten als kritisch, Sicherheiten fehlen, Eigenkapital ist rar. Statt Lösungen zu suchen, nehmen viele Gastronomen diese Rahmenbedingungen als unveränderlich hin. Dabei liegt der Fehler oft in der unzureichenden Vorbereitung, der fehlenden Argumentation oder schlicht im falschen Fokus.
Es reicht eben nicht, mit Leidenschaft zu kochen oder eine visionäre Idee zu haben – wer Kapital will, muss rechnen können. Die Anforderungen sind nicht überzogen, aber strukturiert: Banken und Förderinstitute wollen nachvollziehbare Kalkulationen, realistische Umsatzannahmen und vor allem Unternehmer, die ihr Geschäft ganzheitlich verstehen.
Kommunikation ist Kapital: Die neue Sicht auf Finanzierungsprozesse
Ein Bankgespräch ist kein Wunschkonzert. Es ist ein strukturierter Dialog, in dem Überzeugung nicht über Sympathie, sondern über Zahlen, Argumente und Konzepte entsteht. Es geht nicht um das bloße Bedürfnis nach Geld, sondern um die Frage: Warum sollte eine Bank in dieses Konzept vertrauen?
Gerade in der Gastronomie mit ihren spezifischen Herausforderungen ist Finanzkommunikation ein entscheidender Erfolgsfaktor. Kapitalgeber wollen Klarheit – keine Visionen ohne Fundament.
Deshalb: Vorbereitung ist alles. Wer den Gesprächstermin unvorbereitet antritt, hat schon verloren. Der Businessplan muss vorab vorliegen, professionell aufgebaut sein und die typischen Fragen vorwegnehmen: Wie kalkuliert der Betrieb? Welche Risiken sind erkannt und wie werden sie adressiert? Wie verlässlich sind die Finanzkennzahlen? Welche Maßnahmen sind bereits eingeleitet?
Grundregeln erfolgreicher Gastronomiebetriebe – und wie sie in die Finanzierung einfließen
1. Wareneinsatzquote: Rechnen statt schätzen
Kein Gericht darf kalkuliert werden, ohne eine klare Wareneinsatzgrenze. Eine branchenübliche Faustregel: Wareneinsatzquote maximal 25 % vom Verkaufspreis. Wird diese überschritten, muss entweder die Rezeptur angepasst oder das Gericht gestrichen werden. Ideale Speisen nützen nichts, wenn sie sich betriebswirtschaftlich nicht tragen.
Diese Regeln müssen im Businessplan benannt und erklärt werden – inklusive der geplanten Kalkulationslogik. Zeigt dem Kapitalgeber: Hier wird unternehmerisch gedacht, nicht idealistisch.
2. Umsatzkapazität und Auslastung: Wie viel kann der Betrieb leisten?
Was ist eure maximale Sitzplatzauslastung pro Tag, Woche, Monat? Wie viele Gäste müsst ihr bedienen, um eure Break-even-Schwelle zu erreichen? Welche Tageszeiten sind hochfrequentiert, welche weniger? Gibt es saisonale Schwankungen? Welche Reservierungstechnologie wird genutzt, um die Auslastung zu optimieren?
Diese Kapazitätsplanung muss im Finanzteil konkret dargestellt werden. Sie bildet die Grundlage für alle Umsatzprognosen.
3. Sichtbarkeit: Offline, online, lokal – eure stärkste Währung
Ist eure Gastronomie lokal sichtbar? Engagiert ihr euch gesellschaftlich oder bei Events? Was passiert auf euren Social-Media-Kanälen? Gibt es digitale Reservierungsmöglichkeiten, Google-Einträge mit Bewertungen, eine aktuelle Website? Nutzt ihr lokale Kooperationen, etwa mit Produzenten, Schulen oder Vereinen?
Marketing ist kein Randthema, sondern eine betriebswirtschaftliche Disziplin mit direkter Auswirkung auf den Umsatz. Alle Marketing- und PR-Maßnahmen gehören nachvollziehbar in den Businessplan.
4. Vorurteile aufnehmen, Probleme umkehren
Bargeldproblematik? Dann zeigt, welche digitalen Kassensysteme ihr nutzt, wie transparent ihr arbeitet, welche Reporting-Tools ihr einsetzt. Hohe Insolvenzzahlen? Dann beschreibt, warum ihr anders kalkuliert, wie ihr eure Lieferanten auswählt, was ihr aus der Branche gelernt habt.
Ein Businessplan muss nicht schönreden, sondern klug kontern. Transparenz schafft Vertrauen – Vertrauen ist die Währung, in der Banken denken.
Vom Problem zur Lösung: Der Fahrplan zum Finanzierungsmodell
1. Kapitalbedarf ermitteln
Nicht nur „Ich brauche Geld“ sagen, sondern wie viel, wofür und warum. Das WIE der Ermittlung muss nachvollziehbar beschrieben werden: Investitionsplan, Tilgungsstruktur, Zahlungsziele bei Lieferanten, Liquiditätsreserve. Macht sichtbar, wo Kapital eingesetzt wird und welchen Effekt es erzielt.
2. Sicherheitenstruktur darstellen
Wenn Geräte für 50.000 € angeschafft werden, stellen sie vielleicht nur 15.000 € Sicherheitenwert dar. Woher kommen die restlichen Sicherheiten?
Stichworte: KfW mit Haftungsfreistellung, Bürgschaftsbank, R+V-Kreditbürgschaft – je nach Hausbank. Eine Bank geht i.d.R. maximal 20 % „blanko“. Der Rest muss abgesichert oder plausibel begründet werden.
Ein Tipp: Bietet alternative Sicherheiten wie private Rücklagen, digitale Zahlungsströme aus Reservierungssystemen oder stabile Lieferantenverträge an.
3. Transparenz statt Ausflüchte
Wenn es schlecht läuft: nicht jammern, sondern erklären. Was lief schief? Was wurde bereits geändert? Welche Wirkung hatte es?
Der Satz „Wenn ich das Geld bekomme, dann ändere ich etwas“ ist ein K.O.-Kriterium. Besser: „Ich habe bereits XY umgesetzt, hier sind die Resultate. Das Kapital gibt mir den Hebel, es größer zu machen.“
Businessplan als Drehbuch der Finanzierung
Der Businessplan ist kein PDF zur Ablage, sondern euer Drehbuch für Kapital. Kein Plan unter 40 Seiten kann die Komplexität eines Gastronomiebetriebs abbilden.
Inhalte, die zwingend hinein müssen:
- Marktanalyse, Konkurrenz, Standortbewertung
- Zielgruppenanalyse & Preisstrategie
- Kalkulationssystematik mit Wareneinsatzgrenzen
- Personalplanung & Lohnstruktur
- Digitalisierungskonzept (Kasse, Reservierung, Marketing)
- Umsatz-/Liquiditätsplanung für mindestens 3 Jahre
- Kapitalbedarfsrechnung mit Finanzierungsstruktur
- Maßnahmenplan zur Risikominimierung
Best Practice: Das MUHIS in Recklinghausen
Ein Praxisbeispiel: Das „MUHIS“ in Recklinghausen wurde von uns während der Coronazeit bei der Übernahme und Finanzierung begleitet. Der Standort war zuvor mit mehreren Konzepten gescheitert, die Pandemie erschwerte alles. Trotzdem konnten wir mit einem fundierten Konzept die Sparkasse überzeugen. Heute ist das Lokal etabliert, wirtschaftlich gesund und ein echtes Beispiel für unternehmerische Wandlungsfähigkeit.
Finanzierung ist Chefsache
Wer in der Gastronomie Erfolg haben will, muss mehr können als kochen. Unternehmerisches Denken, strategische Planung und betriebswirtschaftliches Know-how sind kein Bonus, sondern Grundvoraussetzung.
Finanzierung ist dabei keine „lästige Pflicht“, sondern der zentrale Hebel, um Ideen Wirklichkeit werden zu lassen.
HEMMELMANN CONSULTING begleitet Gastronomen von der ersten Idee über die Finanzstrategie bis zur konkreten Bankverhandlung. Wir schreiben keine Geschichten – wir entwickeln Finanzierungskonzepte, begleiten bei den Verhandlungen und bringen den Gastronomen in eine optimale Ausgangsposition.