Wie können Startups / Gründer und Jungunternehmen ihr Geschäftsmodell im Onlinehandel finanzieren?
KfW, Finetrading, Factoring…
Der Onlinehandel hat während der Corona Pandemie nochmals an Fahrt aufgenommen und eine Dimension erreicht, die gerade Jungunternehmen und Startups vor großen Herausforderungen stellt.
Das Geschäftsmodell hört sich so einfach an, denn dank vorgefertigten Shopsystemen, Templates für verschiedene Plattformen etc. kann nahezu jeder mit etwas Zeitaufwand einen optisch ansprechenden Shop starten. Ob dieser Shop den technischen Voraussetzungen genügt, um sich von dem Wettbewerb hervorzuheben, müssen Marketingexperten beurteilen. Zu erkennen ist jedoch, dass die Anzahl der Shops und somit der Wettbewerb immer stärker wird.
Großhändler und Produzenten, aber insbesondere auch die Logistikbranche kämpft mit dem Ansturm und können sich teilweise sogar die Distributionspartner aussuchen. Kleinere Shops, insbesondere auf den Plattformen wie bei Amazon oder eBay verkaufen gerne Ware aus Fernost.
Vorkasse und Anzahlungen hindern häufig die Umschlagshäufigkeit
Großhändler und Produzenten möchten gerne die Ware im Vorfeld bezahlt haben oder arbeiten mit einer Anzahlung und Restzahlung bei Lieferung. Die Ware kommt wie bereits erwähnt häufig aus Fernost, gekauft auf Alibaba und ähnliche Seiten. Aufgrund der unterschiedlichen Kapitalmärkte, nationalen Zahlungsmitteln und basierend auf die Anonymität, ist das häufig genutzte Zahlungsziel die Vorkasse.
Vorkasse von Handelsware belastet die Liquidität und erhöht somit den Kapitalbedarf im Bereich der Betriebsmittel. Startups spüren hierbei häufig die erste Bremse in ihrem Unternehmen. Das Liquiditätsmanagement rückt folglich verstärkt in den Vordergrund.
Factoring und Finetrading als Lösung?
Spricht ein Unternehmer von Liquiditätsbedarf, dann folgen häufig die Begriffe wie Factoring, Finetrading oder Reverse-Factoring.
Beim Factoring verkauft der Verkäufer seine Ansprüche an eine Factoringgesellschaft, die die fällige Rechnungssumme in kürzester Zeit auszahlt. Da im Onlinebusiness die Zahlung per Kreditkarte, Paypal, Applepay… normal ist, bekommt der Verkäufer auch innerhalb kürzester Zeit sein Geld. Folglich generiert Factoring keinen Liquiditätsvorteil im Onlinebusiness.
Ähnlich verhält es sich beim Reverse-Factoring, denn es werben zwar viele Unternehmen damit, jedoch machen es die wenigsten Factoringgesellschaften. Bei kleineren Unternehmen und Startups fehlt aufgrund des Volumens hier auch die Rentabilität.
Das Finetrading, auch als Einkaufsfinanzierung bekannt, kann hierbei ein Ansatz sein und den Wareneinkauf mit bis zu 90 Tagen vorfinanzieren. Kritisch dürften hier auch die Einkaufskonditionen und Bedingungen sein, denn der Einkaufsfinanzierer wird nur bedingt Unternehmen aus Fernost versichert bekommen. Rechnet man die Kosten für eine solche Finanzierungsform hoch, liegt man schnell bei über 20% Zinsen pro Jahr. Gerade aus der Warenbeschaffung aus Fernost hat man mit langen Logistikwegen und somit mit einem erheblichen Zeitaufwand zu kämpfen, so dass hier nahezu immer die maximale Dauer beim Finetrading genutzt werden muss.
Kontokorrentkredit für Startups?
Kontokorrentkredite können eine ergänzende Maßnahme sein, denn hier kann der Unternehmer punktuell seine Einkäufe durch die eingeräumte Kreditlinie finanzieren. Die Konditionen liegen hierbei zwischen 6-12%, je nach Bonitätseinstufung. Nicht jede Bank räumt jedoch solche Kreditlinien ein. Fintechs wie PENTA, Kontist, N26… bieten so etwas nicht an. Klassische Banken wie die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Postbank und die Targo Bank gelten nicht als “gründerfreundlich”, so dass hier die Sparkassen und Volksbanken als Ansprechpartner (zumindest für ein Konto) zu nennen sind.
Um an eine Kontokorrentlinie zu kommen, bedarf es Geduld und Finanzkommunikation. Viele Startups und Unternehmer gehen mit dem Bedarf nach einer Kontokorrentlinie zur Bank und möchten mit diesem Produkt die eigenen Probleme gelöst bekommen. Nicht selten hagelt es eine Absage, denn der Kreditwunsch passt nicht zu der Risikoeinstufung der Bank.
Wie baue ich eine Kontokorrentlinie als Startup auf?
Wenn der Bedarf nach einer Kontokorrentlinie besteht, dann ist es bereits zu spät. Mit Zeitdruck und Problemen “im Nacken” erhöht man niemals das Vertrauen bei der Bank. Es ist daher absolut ratsam, dass man direkt das Bedürfnis entwickelt, eine Kontokorrentlinie zu haben. Auch wenn der Kapitalbedarf aktuell komplett aus dem Eigenkapital gedeckt wird, sollte das Startup das Gespräch mit dem Bankberater suchen und eine kleine Kontokorrentlinie einrichten lassen (selbst 1.000 EUR sind hilfreich). Mit der eingeräumten Kontokorrentlinie erhöht man zudem seine freie Liquidität und somit im einfachen Ratingverfahren der Bank seine Ratingnote. Auch kann der Bankmitarbeiter sehen, dass man mit dieser Linie sorgfältig und kaufmännisch korrekt umgeht. Nach einigen Monaten kann man dann eine Erhöhung anfragen. Es sollte natürlich die KK-Linie auch in der Vergangenheit für wenige Tage in Anspruch genommen werden (bitte max. 80%).
KfW Darlehen – ERP StartGeld, Programm 067
Das KfW StartGeld der KfW ist aus unserer Sicht der Lösungsansatz für die Unternehmensfinanzierung. Viele Argumente und Programmpunkte sprechen für diese Empfehlung; hier in Kürze, was das Programm so ausmacht:
- Kreditbetrag bis 125.000 EUR; davon max. 50.000 EUR Betriebsmitttel
- die durchleitende Bank erhält eine Haftungsfreistellung von 80%
- es wird kein Eigenkapital benötigt
- zu beantragen bis zu einem Unternehmensalter von 5 Jahren
- Zinssatz: ca. 0,7% (5 Jahre) und 2,20% (10 Jahre) – Stand 15.07.2021
- die ersten beiden Jahre kann man das Darlehen tilgungsfrei stellen
- der Einsatz der Betriebsmittel muss nicht nachgewiesen werden und kann somit auch für die Wareneinläufe in Fernost verwendet werden
Startups / Onlinehändler haben bei der Beantragung jedoch einige Dinge zu beachten und können erhebliche Fehler machen. Hierzu sollte jeder Onlineshop, der dieses Programm beantragen möchte, unsere Tipps beachten.
Tipps zum ERP Gründerkredit der KfW
- es wird ein ausführlicher Businessplan benötigt inkl. Finanzplanung für die kommenden 36 Monate
- bei der Liquiditätsplanung sollte eine realistische Einschätzung vorgenommen werden
- die Umsätze sollten durch Zahlen und / oder plausiblen Argumenten nachvollziehbar sein
- die Kostenstruktur durch Angebote belegen
- die Lieferanten sollten nicht ausschließlich aus dem Ausland kommen bzw. es müssen auch Alternativen genannt werden. Eine Abhängigkeit bewertet die KfW immer kritisch und aus dem Ausland, wo die KfW den Markt nicht einschätzen kann, umso mehr. In der Kommunikation daher immer Lieferanten aus DE, Europa und Asien nennen.
- Risikomanagement richtig einschätzen, insbesondere bei Waren aus einem Nicht-EU Land. Produkthaftpflichtversicherung ist eine Pflicht und sollte im Businessplan Erwähnung finden
- Wareneinkäufe sind Betriebsmittel; Wirtschaftsgüter wie IT, Büroausstattung etc. dagegen Investitionsgüter – bitte richtig benennen
- reine Betriebsmittelfinanzierungen werden in der Regel nur über 5 Jahre finanziert (1 Jahr tilgungsfrei)
- das KfW Darlehen ist ein Ratendarlehen und kein Annuitätendarlehen; bitte in der Finanzplanung beachten
- Risiken offen ansprechen und dafür Lösungen präsentieren
- die richtige Bank ansprechen und am Besten im Vorfeld dort schon ein Geschäftskonto haben. In der Regel eignen sich die Sparkassen, Volksbanken und die GLS Bank für Startups. Commerzbank und Deutsche Bank kommen nach ca. 2 Jahren mit entsprechenden Umsätzen hinzu.
Empfehlung der HEMMELMANN CONSULTING
Wie so häufig im Leben, gibt es nicht nur schwarz oder weiß. Auch in der Unternehmensfinanzierung muss man häufig mehrere Dinge kombinieren, aber viel wichtiger ist es, dass man die Unternehmensfinanzierung als Prozess und nicht als Projekt ansieht. Eine Unternehmensfinanzierung muss strategisch vorbereitet werden und kann mit diversen anderen Finanzierungsprodukten kombiniert werden.
Wir von der HEMMELMANN CONSULTING empfehlen daher jedem Onlineshop mit einem Kapitalbedarf für Betriebsmittel folgende Vorgehensweise:
- Kontoeröffnung (Geschäftskonto) bei einer Sparkasse oder Volksbank
- nach wenigen Wochen eine kleine KK-Linie einrichten lassen (Zinssatz ist völlig egal)
- KK-Linie immer ein paar Tage leicht beanspruchen
- Businessplan inkl. Finanzplanung schreiben
- Gespräch mit dem Bankmitarbeiter suchen und das KfW StartGeld beantragen
- mittelfristig Erhöhung der KK-Linie
- für Lieferanten aus Europa eine Warenlieferungsbürgschaft beantragen (wird wahrscheinlich erst wieder 2022 gezeichnet); als erster Ansprechpartner ist hier die R+V Versicherung zu nennen.
Die reine Betriebsmittelfinanzierung über eine KK-Linie wird nicht empfohlen, denn eine KK-Linie kann von der Bank jederzeit gekündigt werden und in einem solchen Fall zu erheblichen Liquiditätsproblemen führen.